Facharbeit

  • Hallo ihr Lieben,


    ich schreibe gerade an meiner Facharbeit über Waldameisen. Die genaue Fragestellung ist, ob mehr Waldameisen das Waldsterben hätten verhindern können. Eventuell findet sich hier der eine oder andere der mir zu dieser Fragestellung seine Meinung sagen kann. Ich würde mich auch über Literatur freuen wenn jemand noch ein gutes Buch oder einen wisssenschaftlichen Artikel zu dem Thema kennt.

    Ich würde mich sehr über Hilfe von euch freuen, danke schon mal im Vorraus!!


    Liebe Grüße, Hannah

  • Hallo Hannah.


    Also ich vermute, dass aktuelle niemand aktives zur Zeit hier unterwegs ist, der dir konkret darauf eine Antwort geben kann.


    Wir selbst können nur Spekulationen aufstellen, denn in der Regel sollte sich niemand an der Haltung dieser besagten Arten versuchen.


    Ich würde für Material ggf. die Ameisenschutzwarte und/oder Myrmekologen gezielt anschreiben. Ich wüsste jetzt nur nicht, welcher Prof. an welcher Uni arbeitet/unterrichtet...

  • Hi Hannah,


    ich bin selbst aktives Mitglied der Ameisenschutzwarte. Schön, dass du das Thema genommen hast, da kann man sicher so Einiges schreiben. Habe auch meine Facharbeit über Ameisen geschrieben, allerdings allgemein, nicht auf bestimmte Arten heruntergebrochen. So bin ich auch zur Haltung gekommen - im Zuge des praktischen Teils der Facharbeit.


    Hier der Versuch, dir ein bisschen Input zu geben, der dir hoffentlich weiterhilft und Denkanstöße gibt. Eines Vorweg: Ich nutze hier Begriffe wie "Schadinsekten". Ich bin aber davon überzeugt, dass es so etwas in der Natur nicht gibt, es ist nur ein vom Menschen definierter Begriff. Es gibt für die Natur sehr gute "Gründe", warum eine Auslese stattfindet. "Schädlinge" führen durch die Hemmung oder sogar Tötung von kranken und schwachen Pflanzen langfristig zu angepassten, widerstandfähigen Beständen. In seiner Gesamtheit reguliert sich die Natur stets selbst - kurzfristig wirkt das auf uns Menschen oft ganz anders. Und für uns sind meinetwegen 50 Jahre halt eine lange Zeit. Für die Natur ein Wimpernschlag :winking_face:


    Die genaue Fragestellung ist, ob mehr Waldameisen das Waldsterben hätten verhindern können.

    Ich sage es ehrlich, so sehr ich diese Tiere schätze: Nein. Verhindern sicher nicht.

    Gehören Waldameisen zu einem gesunden Wald und ist umgekehrt ein Wald mit Waldameisen gesünder? Klares Ja!

    Und können Waldameisen helfen, das Waldsterben einzudämmen? Auch ja! Aber vielleicht nicht, wie der Mensch sich das vorstellt. Du kannst also nicht einfach gezielt Waldameisen irgendwo ansiedeln in der Annahme, dass es dann bergauf geht (zumal diese Maßnahmen meistens scheitern, gab es alles schon).


    Wie komme ich darauf? Ich versuche mich halbwegs kurz zu halten, weil ich sonst selbst eine Facharbeit schreiben würde :grinning_face_with_smiling_eyes:

    Besser fragst du nochmal gezielt nach, wenn etwas unklar ist. oder weitere Fragen aufwirft. Es wird so schon wieder genug Text.


    Den Wald als ganzes Ökosystem kann man jedenfalls nicht auf einzelne Arten herunterbrechen. Man muss ihn immer ganzheitlich betrachten. Erstmal muss man sehen, was eigentlich zum Waldsterben führt. Und das ist in jedem Wald etwas anderes. Es gibt keinen Konsens, was Waldsterben eigentlich auslöst (sonst könnte man ja auch besser gegenwirken). Die Ursachen sind vielfältig. Klar ist aber, dass der Mensch großen Einfluss darauf hat, ob er es wahrhaben will oder nicht.

    • Unsere Wälder sind durch den menschlichen Eingriff seit Jahrhunderten meist vollkommen unnatürliche Ökosysteme. In einem natürlichen Ökosystem muss der Mensch sicher nicht eingreifen, um irgendwelche Prozesse zu steuern - das regelt die Natur selbst. Themen wie zu starker Wildverbiss bei Jungbäumen wären beispielsweise obsolet, wenn es in Mitteleuropa noch in einem natürlichen Maße Prädatoren wie Wölfe und Bären gäbe, die jungtriebfressende Tiere wie Rehe erjagen. Heute ist eines der Hauptargumente für die menschliche Jagd von z.B. Rehen der Klimaschutz - genauer gesagt der Schutz junger Bäume vor entsprechenden Tieren. Der Mensch hat in dem Fall durch gezielte (!) Ausrottung also dafür gesorgt, dass er künstlich Aufgaben erledigen muss, die die Natur eigentlich selbst regeln könnte. Leider ist in unseren alles anderen als naturnahen Wäldern und wegen der extremen Siedlungsdichte des Menschen scheinbar kein Platz für Prädatoren
    • Denn: Urwälder gibt es in Deutschland so gesehen gar nicht mehr, auch nicht in diversen Schutzgebieten, die man gern mal als Urwald bezeichnet. In Deutschland wird selbst in vielen Schutzgebieten vom Menschen eingegriffen, so z.B. Totholz zügig entfernt etc.pp., statt den Wald sich selbst zu überlassen. Von der normalen Holzwirtschaft ganz zu schweigen. Der normale "Wald" bei uns ist v.a. der wirtschaftlichen Nutzung angedacht und nebenher auch für die menschliche Freizeit. Aus diesen Gründen sind die deutschen Wälder auch so "aufgeräumt". Kaum Totholz (Sicherheitsrisiko!), kaum Unterholz, dafür viele Feldwege, Rückegassen etc.pp.
    • Künstlich geschaffene Monokulturen gehen gerade zügig den Bach runter. V.a. die reinen Fichtenwälder, die man hierzulande überall sieht wurden vor allem nach dem zweiten Weltkrieg gepflanzt. Damals ist extrem viel Mischwald geschlagen worden, auch für Reparationszahlungen. Aufgeforstet wurde mit der schnell wachsenden Fichte, selbst unter derer natürlicher Verbreitungshöhe. Man sieht es heute noch: In sehr vielen Nadelwäldern stehen die Bäume hübsch in Reih und Glied und diese sind auch in sehr tiefen Lagen zu finden, obwohl sie dort natürlicherweise gar nicht vorkommen. Wie immer gilt: Monokulturen sind extrem anfällig für Schädlinge jedweder Art, da diese sich mühelos unter ihren Wirtspflanzen verbreiten können. Man kennt das v.a. ja von diversen Borkenkäfern. Den selben Effekt kennt man aber auch aus Laubwaldmonokulturen, es sind dann halt andere Schädlinge
    • Krankheiten, teils aus dem Ausland eingeschleppt, hier meist Pilze (z.B. beim Eschentriebsterben), führen zusätzlich zu einem großflächigen Absterben von Bäumen oder schlechtem Nachwuchs, zusätzlich zu den diversen "Schadinsekten".
    • Klimawandel und damit Hitzewellen. Dadurch schaffen es harzproduzierende Arten, wie eben die Fichte, nicht mehr effektiv, Schädlinge mit klebrigem Harz auszuschwemmen. Stürme sorgen für Bruchholz. Diese für die Natur eigentlich sehr sinnvollen Tothölzer werden aus o.g. Gründen meist schnellstens entfernt
    • Waldwirtschaft und damit der Einsatz schwerer Maschinen führt zu einem deutlich schlechteren Wachstum von Bäumen. Der Boden wird durch die Maschinen extrem verfestigt und damit gesundes Wurzelwachstum von Pflanzen gehemmt. Durch den Abtrag von Totholz wird zusätzlich vielen Tieren, Pflanzen und Pilzen eine Grundlage entzogen, natürlich zu wachsen

    Meine Meinung: Der Wald, wie die Natur allgemein, reguliert sich eigentlich selbst. Je weniger der Mensch eingreift, desto besser. Der Wald sollte weniger als Wirtschaftsraum dienen, denn sich selbst überlassen werden. Am Ende profitieren wir auch daraus, indem wir uns unsere Lebensgrundlage erhalten, durch die Bindung von CO², sowie durch die Artenvielalt. Leider gibt es das in Deutschland aber eben wie beschrieben so gut wie gar nicht. Der Mensch versteht einfach nicht, dass ein Eingriff seinerseits für die Natur nicht notwendig ist und letztendlich das Waldsterben verschärft.


    Es ist v.a. für Anwohner nur sehr schwer zu akzeptieren, denn "Unsere schönen Wälder gehen kaputt!". Aber ich bin fest davon überzeugt: Lässt man den kranken Wald jetzt absterben und wir lassen uns so weit es geht aus dem Spiel, haben wir im nächsten Jahrhundert blühende Waldlandschaften voller Leben. Die Natur ist darauf angewiesen, die Kranken und Schwachen auszusortieren. Das lässt sich auch auf den Wald als Gesamtes übertragen. Nur werden diese Wälder eben für uns bei Weitem nicht in dem Maße nutzbar sein. Man muss da einen guten Weg finden zwischen "Wald Wald sein lassen" und unseren natürlichen Interessen an der Waldausbeutung (Holz, Freizeitnutzung etc.)


    Wir, die jetzt leben, werden das Absterben nur schwer mit ansehen können. Aber die Nachfolgegenerationen könnten sich auf naturnahe Lebensräume freuen. Glücklicherweise hat man das in einigen Schutzgebieten, z.B. dem Bayerischen Wald, erkannt und mit dem Grundsatz "Natur Natur sein lassen" in sog. "Naturzonen" aufgehört, überhaupt ins Waldgeschehen einzugreifen, entfernt dort also auch kein Totholz, lässt den Borkenkäfer Borkenkäfer sein, egal wie stark der Befall ist, etc.; Aber das ging nur gegen massive und jahrzehntelange Widerstände von Anwohnern und Waldbesitzern. Und siehe da: In Gebieten, wo das schon seit 20 Jahren gemacht wird wächst der Wald viel besser nach, als in jeden Waldstücken, in denen aufgeforstet und eingegriffen wurde. Und das, obwohl es v.a. in den ersten Jahren "schlimm" aussah.




    Nun endlich zu den Waldameisen. Nach einem extremen Schwund durch die schon genannte, nicht gerade naturnahe Waldnutzung, sowie speziell bei Waldameisen auch das gezielte Absammeln der Brut als Tier-/Vogelfutter über lange Zeiträume, waren die Bestände an Waldameisen extrem stark zurückgegangen. Wenn man heute durch Wälder (und waldnahe Gebiete) läuft, findet man hingegen gar nicht so selten große Waldameisenhügel und in manchen Wäldern ist der Besatz an Waldameisen erfreulich hoch. Das betrifft vor allem Formica polyctena, Formica rufa und Formica pratensis. Warum sind die 13 Waldameisenarten (Formica s. str.) also eigentlich besonders geschützt?


    Es gibt durchaus viele andere Ameisenarten, die deutlich seltener sind, als diverse Waldameisenarten und deren Bestände teils komplett zusammengebrochen sind oder die als stark gefährdet gelten. Siehe Liste der Ameisenarten in Deutschland. Hier lässt sich gut nachvollziehen, dass einige Waldameisenarten "nur" auf der Vorwarnliste stehen, andere Ameisenarten hingegen vom Aussterben bedroht oder wenigstens davon gefährdet sind.


    Während der Großteil dieser seltenen Ameisenarten den Menschen aber eben wenig interessieren, hat der Mensch den Nutzen von Waldameisen für den Wald (und damit wieder seine eigenen Interessen) erkannt. Denn Waldameisen erledigen eine Vielzahl an Aufgaben, die dem Wald - und damit dem Wirtschafts- und Nutzungsraum für den Menschen - helfen. DAS ist der Grund, warum (erst seit 2005) Waldameisen besonders geschützt sind. Es geht nach meiner Sicht und Erfahrung viel weniger um den Naturschutz an sich, sondern eher um den Waldschutz und damit den Schutz der menschlichen Interessen.


    Wie nutzen Waldameisen dem Wald?

    • Sie vertilgen Unmengen an Insekten, darunter viele, die uns Menschen als Schadinsekten gelten (Borkenkäferarten, Großer Brauner Rüsselkäfer, Fichtenblattwespe, Kiefernbuschhornblattwespe, Gespinstblattwespe, Lärchenminiermotte, Lärchenwickler, etc.). Generell sind die Insektenbestände im Wald (und anderswo) aber massiv rückläufig. Das entzieht auch (Wald-)Ameisen die Lebensgrundlage
    • Sie hegen und pflegen Blatt- und Rindenläuse. Deren Ausscheidungen dienen einer Vielzahl anderer Tiere, v.a. anderen Insekten, als Nahrung (u.a. auch in waldnähe lebenden Bienen, die daraus Waldhonig für uns herstellen)
    • Sie lockern den Boden massiv auf, sorgen so für dringend notwendige Durchlüftung und ein besseres Wurzelwachstum von Pflanzen
    • Sie verbreiten tausendfach die Samen diverser Pflanzen (die teils gezielt auf Ameisen ansprechen, siehe Elaiosomen)
    • Ihre Nester dienen als Brutstätte für eine Vielzahl anderer Tiere, sog. Ameisengäste, darunter Käfer, Schmetterlinge, Spinnen und Milben, Grillen, Springschwänze, uv.m.; Manche davon sind sogar auf die Ameisen angewiesen, um sich überhaupt zu entwickeln
    • Nicht zuletzt dienen sie anderen Tieren als Nahrung, darunter diverse Spechtarten. Bei diesen Vögeln werden die Ameisen sogar zur Gefiederpflege eingesetzt (sog. Emsen). Und vogelreiche Wälder regulieren wiederum den Insektenbestand (auch Schadinsekten)
    • Nach Schweizer Studien gibt es in waldameisenreichen Wäldern weniger Zecken - erfreulich für jeden Waldbesucher
    • einige der oben genannten Punkte führen zu höherer Artenvielfalt, gleichzeitig werden Bestände aber effektiv reguliert, da - u.a. die Ameisen - als Prädatoren im Schnitt für stabile Bestände sorgen
    • ...

    Der Nutzen von Waldameisen ist also unstrittig. Daher stehen auch in vielen Ländern Waldameisen unter besonderen Schutz. Nur der Grund ist eben nicht unbedingt die Ameise selbst, sondern deren positiver Einfluss auf den Wald. Und Waldschutz ist mittlerweile eben gerade ein großes Thema für uns Menschen, sowie auch die Waldnutzung.


    Daher der große Rundumschluss: Die genaue Fragestellung ist, ob mehr Waldameisen das Waldsterben hätten verhindern können.

    Nein, da das Waldsterben vielfältige Ursachen hat und Ameisen nur in Teilen diesen Ursachen entgegenwirken können.


    Gehören Waldameisen zu einem gesunden Wald und ist umgekehrt ein Wald mit Waldameisen gesünder? Können Ameisen also dabei helfen, das Waldsterben einzudämmen?

    Ja, denn der Einfluss von Ameisen auf den Wald ist unstrittig. Und in gesunden Wäldern wird man - neben einer Vielzahl anderer Lebewesen, im Normalfall auch Waldameisen entdecken können. Und wieder gesunden (!) Wald zu haben - das wird die große Aufgabe im Waldumbau sein. Egal ob nun der Mensch das erledigen will, oder ob man einfach die Natur machen lässt. Ameisen werden dabei eine Rolle spielen, wie viele andere Organismen auch. Bäume werden trotzdem in großen Mengen absterben - und das ist teils auch gut so.



    Ein tolles Buch - da geht es stark über die Lebensweise von Waldameisen, weniger um den Wald, ist übrigens "Das Ameisenkollektiv.


    Zur Kontaktaufnahme von Wissenschaftlern: Frage doch mal bei der Deutschen Ameisenschutzwarte an, ob man dich vermitteln kann. Viele Wissenschaftler sind (Ehren-)Mitglieder in den Ameisenschutzwarten der Bundesländer oder sitzen dort in den wissenschaftlichen Beiräten. Bzw. gibt es hier auch eine Liste der DASW inkl. Kontaktdaten: https://www.ameisenschutzwarte.de/wissenschaftlicher-beirat


    Und als Myrmekologen haben sie natürlich auch publiziert - ggf. findet sich da etwas, was dir bei deinem Thema hilft.




    Edit 17.01.: Natürlich gibt´s bei der ASW auch reichlich Fachwissen dazu und man kann dir sicher auch das ein oder andere Material schicken, wenn du freundlich fragst. Ich hatte das - im Gegensatz zum o.g. wissenschaftlichen Beirat - nicht separat erwähnt, weil es mir ohnehin klar erschien. In der ASW sitzen reichlich Leute, die jahrzehntelange Erfahrung in dem Bereich haben.


    Dort gibt es auch eine Literaturliste: https://www.ameisenschutzwarte…teratur-fuer-ameisenheger & https://www.ameisenschutzwarte.de/literatur-fuer-lehrkraefte

    Und ein Forum: https://forum.ameisenschutzwarte.de/


    Dann noch ein kleiner Hinweis: Der Text gibt natürlich meine Meinung und Erfahrung wieder und umreißt dieses wirklich vielfältige Thema nur. In der Facharbeit wirst du einige meiner Thesen hier sicher kritisch überprüfen müssen und auch mit Quellen belegen.



    Damit genug meiner erschlagenden Textflut :winking_face:

    Wäre cool, über das Thema von nochmal zu hören.



    Beste Grüße,


    Christian

    Träume den unmöglichen Traum, besiege den unbesiegbaren Feind, strebe mit deiner letzten Kraft nach dem unerreichbaren Stern.

    22 Mal editiert, zuletzt von ice_trey ()

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